Crèmeschnitten und Wadenkrämpfe

If you're not sure wether you are running or jogging, go faster.

Montag, 25. August 2008

Das Ende der Fahnenstange

Das Grand Raid Wochenende ist vorbei und es wird mir noch lange in Erinnerung bleiben. Das Rennen endete für mich nach 9:48:45 oder 106 Km und mehr als 4000 Höhenmetern in La Vieille – ich habe die letzte Zeitlimite um etwa 3 Minuten verpasst.

Nachdem das Rennen wegen schlechtem Wetter auf Sonntag verschoben wurde, mussten wir zusammen mit vielen anderen Teilnehmern den Samstag in Verbier verbringen (die obligatorische technische Kontrolle wurde am Freitag durchgeführt) . Das Samstagwetter war entgegen allen Prognosen sonnig und relativ warm, nur am Nachmittag gab es ein paar kurze Niederschläge, aber wer weiss schon wie es zwei Täler weiter oder auf 2900M aussieht? Unser Programm am Samstag: Carbo Loader – Essen – 10 Min. Ausfahrt mit Bike - Spaziergang – Essen – Carbo Loader – Mittagsschlaf – Kaffee und Kuchen - Spaziergang – Carbo Loader – Essen – Spaziergang – Carbo Loader.

Sonntag morgen um 04:30 geht es los mit Frühstück (und Carbo Loader ;-). Ich bin ziemlich nervös und irgendwie froh als wir endlich zum Start gehen müssen.

Verbier 06:45 – Start
Ausgerüstet mit Arm- und Beinlingen stehen wir in der Morgenkälte und warten auf den Start. Ich starte im hinteren Block, also mit 15 Minuten Verzögerung.

Croix de Coeur - La Tzoumaz - Nendaz
Gleich nach dem Start beginnt der Aufstieg zum Croix de Coeur. Ich fühle mich gut und schlage ein langsames, gleichmässiges Tempo an. Genau als wir oben ankommen, suchen sich die ersten Sonnenstrahlen ihren Weg über die Bergkuppe, die Stimmung ist genial, alles ist sehr ruhig und der Tag noch frisch, am Himmel keine einzige Wolke. Ein Blick zurück zeigte mir, dass ich irgendwo im hintersten Drittel des Feldes fahre (wo ich meiner Meinung nach auch etwa hingehöre). Die erste Abfahrt und der anschliessende Aufstieg bieten keine technischen Highlights und wir kommen rasch voran. Bei der steilen Abfahrt über die Skipiste hinunter nach Nendaz fängt es dann an richtig Spass zu machen. Ich habe Glück und kann es gerade noch vermeiden, in einen Gruppensturz verwickelt zu werden.

Veysonnaz – Les Collons – Heremence
Bin gut unterwegs, um mich herum sind immer etwa dieselben Fahrer, man spricht meist französisch oder englisch, selten ist ein Deutschschweizer anzutreffen. Ich zwinge mich, regelmässig zu essen und zu trinken. An den Verpflegungsständen wird unter anderem Brot und Käse gereicht und es gibt Balisto Riegel zu knabbern. Anfangs finde ich das noch gut, da ich „normale“ Nahrung in der Regel besser vertrage als „Powerbar“ & Co. Aber auf die Dauer liefern Balisto und Orangenschnitze wohl nicht genügend Energie, ich muss also trotzdem meine Riegel und Gelees essen. In Les Collons sind die ersten 2000 Hm durch und es geht hinunter nach Heremence. Hier durchfahren wir den Start der mittleren Strecke, wir haben nun knapp die Hälfte der Distanz zurückgelegt – aber ich weiss, das Rennen fängt erst an.

Mandelon 5:30:41
Es folgt der Aufstieg zum Mandelon, Anfangs auf Asphalt, dann auf Kieswegen und Trails - es sind gut 1000 Höhenmeter zu erklimmen. Es ist Mittagszeit und im ersten Dorf riecht es nach richtigem Essen. Wie schön wäre es, sich jetzt hinzusetzen und ein feines Menu zu verspeisen. Ich setze mich also hin, aber nur um endlich die Bein- und Armlinge auszuziehen (unterdessen ist es ziemlich warm geworden). Noch schnell eine Tube Gel runterwürgen und weiter geht’s. Alles läuft gut, die Beine sind tiptop, keine Krämpfe, Puls normal. Ich freue mich auf die Abfahrt, da kann ich wieder etwas Zeit gutmachen. Doch nach dem Verpflegungsposten geht es erstmal auf schwierigen Singletrails weiter hoch und dann sind wir wirklich in den Alpen. Felsige und teilweise matschige Trails führen den Berg entlang und wir werden immer wieder gezwungen abzusteigen und zu gehen. Das ständige auf und ab und wieder Anfahren zehrt an den Nerven. Technische Passagen kann ich zwar meistens noch recht gut fahren aber ich merke dass ich mich sehr konzentrieren muss, einmal rutsche ich auf nassen Felsen aus und stürze. Ist wohl besser, wenn ich hie und da absteige. Das ganze kostet Zeit und Nerven.

Evolene 6:42:48
Irgendwann kommt dann doch noch die rasante Abfahrt und zwischendurch gibt es technische Trails, die jedoch relativ gut fahrbar sind, solange man nicht wegen dem Vordermann anhalten muss. Ich bin immer noch gut in der Zeit und es macht Spass, soweit alles ok. Ich trinke Bouillon und esse etwas Brot und einen Gel, dann muss ich mich noch um meinen schmerzenden Hintern kümmern (habe zum Glück etwas Sitzcreme im Rucksack). Ich beobachte, wie einige Fahrer ihren Chip abgeben. Andere sitzen herum und ruhen sich aus. Ich fahre lieber weiter, brauche die Zeit vielleicht später noch um mich auszuruhen.

Eison 7:55:25
Nun geht es also wieder hoch, diesmal etwa 450Hm auf wenige Kilometer. Naja, denke ich, ist etwas weiter als aufs Hörnli – habe ich auch schon geschafft. Muss etwas einteilen mit den Kräften, der grösste Anstieg steht noch bevor. Anfangs kein Problem, es geht auf einer Kiesstrasse die Serpentinen hoch. Hinter mir folgen vereinzelte Fahrer. Der Weg geht im obersten Teil in einen Singletrail über und ich merke dass ich nur noch sehr langsam vorankomme. Ich drücke mich mühsam die beiden engen Kurven zum Verpflegungsposten hoch. Mein Tacho zeigt 100 Km und ich bin ziemlich kaputt. Ich muss trinken und essen, habe aber überhaupt keine Lust. Stürze einen Becher Eistee hinunter und mische mir noch etwas Carbo Loader in meinem Bidon. Ich habe unterdessen ein komplettes Durcheinander gegessen und getrunken auf der Strecke, ich kann mich gar nicht recht erinnern. Ich bin immer noch gut in der Zeit, La Vieille sollte in einer Stunde erreichbar sein, meint einer der Streckenposten.

La Vieille 9:48.45 – Endstation
Nach der Zeitmatte vergleiche ich die Zeiten und das Höhenprofil mit einem anderen Fahrer, wenn die Informationen der Streckenposten stimmen haben wir noch mehr als genügend Zeit – c’est pas mal! Unmittelbar nach dem letzten Posten geht der Weg über in einen steilen Singletrail, zuerst bergauf und später dann wieder runter. Die technischen Passagen machen vielen Fahrern Mühe, ich werde ein paar Mal vorgelassen, muss aber bald merken dass ich jedesmal wieder überholt werde wenn es bergauf geht. Dieser Streckenabschnitt braucht enorm viel Konzentration und man merkt nicht wie man sich anstrengt dabei. Dann kommt der Anstieg nach La Vieille – 750 Hm bis zur letzten Station mit Zeitlimite. Ich versuche, möglichst kraftsparend und gleichmässig zu fahren, aber plötzlich geht gar nichts mehr. Mein Magen spielt verrückt, ich kann nichts mehr trinken und essen, bin total erschöpft. Also absteigen und weitergehen, aber auch beim Gehen wird’s erstmal nicht besser. Irgendwann beginne ich auszurechnen wieviele Minuten ich für 100 Hm brauche wenn es in diesem Tempo weitergeht. Nachfolgende Fahrer überholen mich, immer wieder höre ich „courage“, „alez“. Irgendwann geht es wieder einigermassen und ich beschliesse weiterzufahren. Das Einklicken in die linke Pedale will aber irgendwie nicht so recht, braucht zuviel Kraft (!?). Nun kommt auch noch die Stelle mit der Gedenktafel, wo im letzten Jahr ein Teilnehmer gestorben ist – wow. Schlussendlich sehe ich die letzte Kurve vor mir und fahre in „La Vieille“ ein. Ein Mann der mir entgegenkommt applaudiert und ruft „c’est dommage“ und ich realisiere was ich eigentlich schon die ganze Zeit geahnt habe - dass ich die Limite verpasst habe. 2-3 Minuten vorher wäre ich noch durchgekommen, nun ist Feierabend. 106 Km und einiges über viertausend Höhenmeter zeigt mein Tacho, 9 Stunden und 48 Minuten war ich unterwegs um nun etwa 15 Km vor dem Ziel auszuscheiden.

Ich kann nicht sagen ob die Enttäuschung oder die Erleichterung in diesem Moment grösser ist. Der Weg ins Ziel hätte direkt durch die Hölle geführt und ich weiss nicht ob ich noch genügend Kraft gehabt hätte für den Pas de Lona. Per SMS erfahre ich, dass es Daniela geschafft hat und ich freue mich mega darüber. Gratuliere dir nochmals ganz herzlich, Chapeau Mademoiselle!

Was nun, die Alp La Vieille ist auf 2400M, das Ziel auf der anderen Seite unerreichbar und ich bin ein Bisschen müde. Unterdessen ist die Anzahl der Fahrer, die aus dem Rennen genommen wurden, grösser geworden und wir fahren geschlossen etwa 15 Km hinter einem Auto her, das uns nach St. Martin führt wo ein Postauto auf uns wartet. Da wir nicht viel Zeit verlieren wollen, beschliessen Dani und ich dass ich in Sion aussteige und sie mein Gepäck mitbringt.


Jetzt habe ich Zeit mich zu entspannen und den Tag nochmals im Kopf durchzugehen. Ich bin alleine auf dem grossen Parkplatz in der Kaserne Sion, friere, habe kein Geld dabei, keinen Autoschlüssel, konnte nicht duschen, habe Hunger und Durst und es dauert noch mindestens eineinhalb Stunden bis Daniela hier eintreffen wird. Trotz allem (oder genau deswegen?) ist dieser Moment irgendwie schön und ich bin froh dass ich eine Weile ganz alleine bin. Vielen vielen Dank dem netten Neuenburger Biker, der mir im Vorbeifahren aus seinem Wohnmobil ein kühles Bierchen reicht.

Kurz vor ein Uhr früh komme ich schliesslich zu Hause an, zu müde um schlafen zu gehen. Bin ich jetzt ein Weichei?

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

nei min liebä Brüeder, Du bisch sicher keis Weichei!! Im Gägeteil, das isch ä meeegggaa Leistig!!
ich gratulierä Dir uf all Fäll, isch sicher kein Grund zum dä Chopf hange lah..

Du bisch SUPER!

Dini Schwö

Anonym hat gesagt…

Lieber Micha
Keiner der da nur an den Start geht, ist ein Weichei.
Dein Bericht ist eindrücklich und spricht mir aus dem Herzen.
Für mich war das Rennen definitiv eine Grenzerfahrung, ich habe gelitten, wie noch nie bisher an einem Wettkampf aber es war trotz allem, ein absolut grandioses Erlebnis. Die Eindrücke werden ewig bleiben!
Wünsche Euch ganz viel Spass in den Ferien.
Dani